Text:
Display - Hanne Loreck


Ateliergespräch mit Sebastian Mühl

 

Publikationen:

Give up the ghosts - Monografie

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Das große Versprechen
Novelle, 61 Seiten, gebunden
25 Exemplare
erwerbbar auf Anfrage

 

 

Auszüge
.....

Ein unbestimmter Sinn lagerte in diesen fremdartigen Figuren. Als könnten die
Dinge Teil eines eigenen Systems sein, in dem sie in ihren Beziehungen untereinander,
wie Wörter in einem Satz standen. Unvermittelt drängten
sich mir die zwischen den Dingen bestehenden Lücken auf, als
könnte ihnen die entscheidende Rolle bei der Bedeutungsklärung
zukommen. Manche von ihnen waren zu dünnen, schwarzen
Linien zusammengepresst. Andere hingegen waren zu großzügigen,
lichterfüllten Räumen geweitet, in die man durchaus noch
etwas hätte hineinstellen können. Bei manchen Kompositionen
hatte ich den Eindruck, als würde die Lücke der Raum an sich
sein, der wie ein Platzhalter für etwas dient, was noch nicht da ist.
Was die Dinge von der Sprache unterscheidet, ist ihre fehlende
Grammatik. Wie undeutbare Stillleben, die noch nicht fertig
waren, eröffneten mir die Dinge nur ihre verkörperten Eigenschaften.
Was würde der Urheber dieser Gebilde wohl dazu
sagen? Ist er bei der Zusammenstellung der Dinge alchemistisch
vorgegangen; mit einem tief in seinem Inneren verwalteten Kontinuum
von Stoff und Idee? Konnte ihm sein Tageswerk eine
Sinnkonstruktion bedeuten, die anderenorts als Kunst verehrt
wird? Ich wollte gerne in diesen Formationen etwas Modellhaftes
sehen, aus denen die Dinge als bewusst verwendete Bausteine
menschlicher Realität verstanden worden sind, um durch sie hindurch,
zu einer neuen Bedeutung zu gelangen, die meine
gegenwärtige Verwirrung über die Dinge klären könnte. Doch
dieser Mann war allenfalls ein Proto-Künstler, der Bedeutungen
nur zufällig herstellte.

....

Am Rande des Lagers sah ich einen Mann vor einem seltsamen
Gebilde von Maschine stehen, wie er Glasscheiben in
Halterungen befestigte, die entlang einer Schiene, nach einem
Wasserturm-artigen Gebäude bewegt wurden. Auf der Mitte der
Distanz, reinigten seitlich angebrachte Wasserdüsen die vorbei
geführten Scheiben von beiden Seiten und durch die dreckige
Gischt des Abwassers, erstrahlte im Sonnenlicht ein
Regenbogen. Hinter dem Regenbogen schaukelten die gesäuberten
Glasscheiben das Sonnenlicht über den Hof, dem Turm
entgegen. Dort angekommen, wurden die Halterungsmechanismen
gelöst und das Glas fiel durch den bodenlosen Körper des
Turmes, der trichterförmig den Sturz des Glases auf eine im
Boden eingelassene Grube leitete. Nur kurz konnte ich die Scheiben
sehen, wie sie in ihrem eigenen Glasnebel durch ein
Stahlgitter, dass die Grube ebenerdig abschloss, zu einer Vielheit
zersprangen. Während der Glasnebel das Blattwerk der herumstehenden
Büsche mit einem kristallinen Glanz versah, hörte ich
auf dem Grund der Grube eine metallene Schnecke arbeiten, die
das zerbrochene Glas in das hohe, fensterlose Gebäude
beförderte. Knöcheltief stand der Mann in seinen Gummistiefeln,
in einer aus dem zurückgeflossenen Wasser entstandenen Lache
aus Schlamm und bewegte seinen Körper im Rhythmus der an
ihm vorbei geführten Halterungen. Er hatte offenbar keine Aufmerksamkeit
für das Bild, in dem er eine unfreiwillig, tragische
Figur eingenommen hatte. Vor allem entging diesem Mann das
ästhetische Zusammenspiel von Licht, Glas und Wasser, dass
sich mittels dieser Anlage herstellte und beinahe den gesamten
Hof mit einbezog. Da entgingen ihm fortwährend die in die Grube
einfallenden Sonnenstrahlen, die auf das zerspringende Glas auftrafen,
und ein sich ständig wandelndes Bild auf eine
angrenzende Mauer projektierten, als gelte es der Zukunft bereits
an diesem fensterlosen Gemäuer, eine erste Konstruktion zu
übermitteln. Als zentrale Lichterscheinung offenbarte sich der
Regenbogen wie ein schlecht ausgehandeltes Geschäft. Er
schien gefangen zu sein, in dieser Produktion gleich bleibender
Verhältnisse und ich stellte mir vor, dass er auch Nachts noch zu
sehen sein müsste. Die Glasscheiben, die unablässig durch den
Regenbogen geleitet wurden, waren gleichzeitig für den besonderen
Zustand des Regenbogens verantwortlich. Denn während
der kleinen Pausen, die durch die Abstände der aufeinander folgenden
Glasscheiben entstanden, verlor sich für kurze Zeit die
Gischt mitsamt des Regenbogens, der auf diese Weise blinkte,
wie die halbdefekten Insignien einer heruntergekommenen
Spelunke. Über den gesamten Platz der Anlage huschten, der
Bewegung des Förderbandes folgend, die rechteckigen Reflektionen
der gesäuberten Glasscheiben über den Hof. Je nach
Intensität der Sonne, erzeugten sie ein mehr oder weniger leuchtendes
Band aus hellen Vierecken, dass wie ein Kunst-am-Bau
Projekt, die aufstrebende Gestalt des fensterlosen Gebäudes
dynamisierte, um sich übergangslos in den Himmel meiner Wahrnehmung
zu entziehen.

....

In einem mechanischen Rattern summierten sich im dunklen Blau
des Himmels, die auf hohe Stelzen gestützten Förderbänder. Es
lag wohl an dieser übergroßen Distanziertheit zu dem Ort, die
mich denken ließ, dass dieses Nervenbahnen ähnliche Geflecht
entweder in den uneinsichtigen Weiten des Geländes eine Art
Wegweiser darzustellen vermochte, oder bestenfalls nicht mit
dem, was sich unter ihm anhäufte, in Zusammenhang gebracht
werden sollte. Unter jedem ihrer unwillkürlich aufhörenden Enden,
war ein leuchtender Hügel aus jenen Dingen entstanden, die ich
zuvor noch mit Begriffen benennen konnte. Hier lagen die verarbeiteten
Dinge entformt und ohne eine Spur ihrer vorigen
Identität, vereint in der Gleichförmigkeit sonderbarer Kugeln.
Durch mehlartigen Staub schlängelte ich mich in meinen Kokon
zwischen den aus schimmernd stumpfen Kugeln bestehenden
Hügeln umher und aus dem unendlichen Zusammenfallen ihrer
Farben erklangen gläsern metallene Töne. Eine besondere
Leuchtkraft war ihnen zu Eigen. Safranseidiges Gelb kontrastierte
ein Dunkelviolett wie Amarant; ein wie aus Weinsteinglimmer bestehender
Hügel fügte sich im Schatten eines herben Bergblau,
während ein durchscheinendes Anthrazit kaum an Konsistenz
gewann. In ihrer Eigenartigkeit wirkten die Hügel auf mich wie
eine abstrakte Verkörperung vergangener Epochen. Ihre ausufernden
Ränder hatten sich an manchen Stellen bereits verbunden,
um jenen uneindeutigen Übergang zu bedeuten, aus denen
die Hügel selber, wie eine Meinungsverschiedenheit hervorgingen.
Der feine Staub hatte sich mittlerweile zwischen die mit meinem
Atem benetzten Schichtungen der Folie gelegt und versiegelte die
Schnittstellen zu einem spiralförmigen Geflecht. Durch die Sonneneinstrahlung
trockneten die äußeren Schichten schneller als die Inneren, so dass ich nicht bemerkte,
wie fest meine Hülle an manchen Stellen schon geworden war. Ich griff durch die Wandung
meines Kokons und sah aufmerksam meiner Hand nach,
wie sie zwischen taubenblauen Kugeln versank.

.....

© Carsten Nolte 2011